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Scenarios für die öffentliche Verschuldung.
Die Entwicklung der öffentlichen Verschuldung hängt von einer Reihe ökonomischer Variablen ab – und davon, wie sie zusammenwirken. Innerhalb der Eurozone scheint die Verschuldung in Deutschland und Frankreich tragfähig, in Italien, Portugal und Irland dagegen grenzwertig. Die Verschuldung in Spanien scheint auf Dauer nicht tragfähig. In den Vereinigten Staaten, Grossbritannien und insbesondere in Japan bewegt sich die Verschuldung zwar keinesfalls auf stabilem Niveau, trotzdem scheint das Ausfallrisiko in allen drei Fällen zumindest vorläufig gering.
Die Staatsverschuldung und das Budgetdefizit haben erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik eines Landes sowie auf seine wirtschaftliche Entwicklung und Refinanzierungssituation an den Finanzmärkten. In diesem Artikel modellieren wir mögliche künftige Entwicklungspfade der Staatsschuldenquote (Schulden in Relation zum BIP), um so zu einer besseren Einschätzung der Tragfähigkeit der Staatsfinanzen zu gelangen. Das Augenmerk unserer Analysen liegt auf den Vereinigten Staaten, Grossbritannien, Japan und einigen Ländern der Eurozone. Griechenland haben wir aussen vor gelassen, da die weitere Entwicklung des Budgetdefizits und des Wirtschaftswachstums sehr schwer vorhersagbar ist. Es scheint jedoch relativ klar, dass die Staatsverschuldung Griechenlands trotz der Umschuldung im Frühjahr dieses Jahres nicht tragfähig ist.
Die „Mechanik“ der Verschuldung
Rechnerisch betrachtet, hängt die Entwicklung der Staatsschuldenquote im Wesentlichen von fünf Faktoren ab, die durch die abgebildete Gleichung zueinander in Beziehung gesetzt werden können:
Ausgangsniveau der Staatsschuldenquote
– Ausgangsniveau der
Staatsschuldenquote (B/Y).
– Durchschnittlicher Zinssatz auf emittierte
Anleihen (i).
– Budgetsaldo ohne Zinsdienst/BIP
(sogenannter primärer Budgetsaldo, p/Y).
– Reales Wirtschaftswachstum (g).
– Inflation (π).
Wie sich der Schuldenstand und die Höhe der Zinssätze auswirken, liegt auf der Hand: In beiden Fällen steigt mit einem Anstieg die Zinslast und erschwert die Stabilisierung der Verschuldung. Ein besonders dramatischer Fall aus jüngster Zeit ist Irland, wo die Staatsverschuldung von einem eher moderaten auf ein schwindelerregendes Niveau hochschnellte, nachdem die Regierung beschlossen hatte, Bilanzgarantien für eine Reihe angeschlagener Banken zu übernehmen. Das BIP-Wachstum ist aus einem einfachen buchhalterischen Grund von Bedeutung: je höher das Wachstum, desto höher das BIP und desto niedriger automatisch die Staatsschuldenquote. Vergleichbare Effekte hat die Inflationsrate, mit deren Anstieg das BIP nominal wächst, wodurch die Verschuldungsquote bei einem gegebenen realen BIP-Wachstum sinkt. Der direkte Effekt des Wirtschaftswachstums und der Inflationsrate ist besonders für hochverschuldete Länder von grosser Bedeutung. So hat beispielsweise der Rückgang des nominalen BIP Griechenlands um 13 Prozent seit 2009 ceteris paribus zu einem Anstieg der Staatsschuldenquote von 127 Prozent auf 147 Prozent geführt. Wäre die Wirtschaft hingegen um 10 Prozent gewachsen, wie in den Vereinigten Staaten, so wäre die Staatsschuldenquote auf 116 Prozent gesunken. Darüber hinaus bewirken höhere Zinsen und ein stärker negativer Primärsaldo ebenfalls einen Anstieg der Staatsschuldenquote.
Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Variablen sind von erheblicher Bedeutung
Neben den direkten Effekten der einzelnen Variablen, die sich aus der Gleichung ergeben, sind auch erhebliche Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Komponenten zu berücksichtigen. In den letzten Jahren wurde in umfangreichen Studien wissenschaftlich belegt, dass eine hohe Verschuldung der öffentlichen Hand das BIP-Wachstum bremst. Das hängt möglicherweise schlicht damit zusammen, dass hochverschuldete Staaten in der Fiskalpolitik die Zügel anziehen, um das Defizit zu verringern – oder damit, dass Verbraucher und Unternehmen ihre Ausgaben reduzieren, wenn die Verschuldung und das Budgetdefizit steigen (sogenannte „ricardianische“ Effekte). Darüber hinaus kann eine steigende Staatsschuldenquote dazu führen, dass Anleger höhere Risikoaufschläge verlangen, wodurch die Zinsen steigen und die Investitionsausgaben sinken. Demgegenüber verbessert sich mit einem höheren BIP-Wachstum typischerweise der Primärsaldo, weil die Steuereinnahmen steigen und die Staatsausgaben – beispielsweise für Arbeitslosengeld – sinken. Auch eine höhere Inflation wirkt sich normalerweise positiv auf den Budgetsaldo aus, weil das Steueraufkommen steigt (auch aufgrund der sogenannten „schleichenden Steuerprogression“), während die Ausgaben weniger betroffen sind, solange ihre Entwicklung nicht an die Inflation gekoppelt ist. Eine höhere Inflation kann allerdings auch zu steigenden Inflationserwartungen führen, was wiederum zur Folge hat, dass die Zinsen steigen. Aufgrund dieser Wechselwirkungen sind Prognosen für das Budgetdefizit und die Entwicklung der Staatsschuldenquote mit einer hohen Ungewissheit behaftet.
„Nichtlineare“ Sensitivität gegenüber Zinsänderungen
Die direkten Auswirkungen eines vorübergehenden Anstiegs der Zinsen am Kapitalmarkt auf die Staatsverschuldung sind in der Regel eher gering, da die meisten Länder Anleihen mit Laufzeiten zwischen 5 und 10 Jahren begeben und deshalb alljährlich nur einen geringen Teil ihrer Schulden neu refinanzieren müssen. Es dauert deshalb eine Weile, bis höhere Marktzinsen bei den Gesamtkosten der Refinanzierung zu Buche schlagen. Dennoch kann, wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat, ein Anstieg der Marktzinsen dazu führen, dass Länder sehr schnell den Zugang zur Refinanzierung über den Kapitalmarkt verlieren – nämlich dann, wenn die Märkte beginnen, künftige Zinssteigerungen einzupreisen. Wenn solche negativen Marktreaktionen einsetzen, helfen auch moderate Zinsen auf aktuelle Anleihen nicht unbedingt. Haben Länder erst einmal einen hohen Zins „festgeschrieben“, dauert es überdies seine Zeit, bis die Zinslast wieder sinkt – auch dann, wenn die Marktzinsen wieder fallen.
Andere wesentliche Faktoren für die Schuldentragfähigkeit
Gibt es eine feste Grenze für die Staatsschuldenquote, oberhalb der ein Staat sich selbst nicht mehr finanzieren kann und zahlungsunfähig wird? Die klare Antwort lautet: „nein“. Daten von Reinhart & Rogoff (2010) zeigen beispielsweise, dass Staaten mit einer sehr unterschiedlich hohen Verschuldung in Relation zu den Einnahmen zahlungsunfähig geworden sind. Natürlich spielen neben der Höhe der Schulden auch die Kosten des Schuldendienstes eine Rolle. Aber auch die Zinslast im Verhältnis zu den Staatseinnahmen hat sich nicht als zuverlässiger Indikator für das Risiko der Zahlungsunfähigkeit erwiesen: Beispielsweise ist Japans Zinslast im Verhältnis zu den Staatseinnahmen höher als die Spaniens. Trotzdem ist an den Anleihemärkten kaum Besorgnis über die Schuldentragfähigkeit Japans zu spüren. Von grösserer Relevanz für die Schuldentragfähigkeit sind vermutlich Faktoren wie der Anteil an Staatsanleihen, die sich im Besitz – mutmasslich loyalerer – einheimischer Anleger befinden, sowie der Anteil an Fremdwährungsanleihen. Im Falle der europäischen Peripherieländer wurden formell zwar sämtliche Staatsanleihen in der Inlandswährung (d. h. Euro) begeben, an den Märkten wächst aber bereits die Sorge vor einem Ausstieg aus der Eurozone, durch den die Anleihen zu Fremdwährungsverbindlichkeiten würden. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Schuldentragfähigkeit ist schliesslich die Bereitschaft der Zentralbank, als „Buyer of Last Resort“ (Käufer der letzten Instanz) aufzutreten. Die Tatsache, dass die EZB sich zumindest vorläufig ziert, diese Rolle zu übernehmen, ist einer der Hauptgründe für die Sorge über die Schuldentragfähigkeit und eine mögliche Zahlungsunfähigkeit der Peripherieländer.
Deutschland
Staatsverschuldung in Deutschland, Frankreich und Grossbritannien scheint tragfähig
Die Simulationen zeigen, dass Deutschland die besten fiskalischen Aussichten unter den analysierten Ländern hat, da die Staatsschuldenquote des Landes in den kommenden Jahren deutlich sinken sollte; selbst im Falle einer Rezession und steigender Zinsen ist nicht mit einem starken Anstieg zu rechnen.
Frankreich
Für Frankreich sind die Aussichten nicht so positiv; dennoch ist zu erwarten, dass die Verschuldung tragfähig bleibt. Gleichwohl könnten die Märkte mit Besorgnis über die Schuldentragfähigkeit reagieren, sollte es in Frankreich zu einer Rezession in Verbindung mit höheren Zinsen kommen (pessimistisches Szenario).
GB
Die Simulationen für Grossbritannien ergeben ein etwas ungünstigeres Bild als für Frankreich. Grossbritannien hat zwar den Vorteil eines „eigenen“ Lender of Last Resort; sollte die Bank of England jedoch massiv intervenieren müssen (pessimistisches Szenario), ist leicht eine Krise vorstellbar, in deren Verlauf das Pfund an Wert verliert, die Anleiherenditen in Reaktion auf Abwertungs- und Inflationsängste steigen und die Entwicklung schliesslich in eine kombinierte Währungs- und Schuldenkrise mündet.
Portugal
Italien, Portugal und Irland sind Grenzfälle
Italien, Irland und Portugal sehen nach Grenzfällen aus. Mit Portugal und Irland sind jedoch zwei der drei Länder bereits unter den Rettungsschirm der sogenannten Troika geschlüpft. Ausserdem sind beide Länder klein. Die Befürchtungen im Hinblick auf eine (weitere) Schuldenkrise sind deshalb nicht allzu gross.
Irland
Irland könnte profitieren, wenn ein Teil der staatlich garantierten Anleihen irischer Banken von den Euro-Rettungsfonds EFSF oder ESM übernommen wird (wie im Falle der Rekapitalisierung spanischer Banken geplant) – oder wenn es der Regierung gelingt, weitere „Haircuts“, d. h. einen weiteren Forderungsverzicht privater Gläubiger, durchzusetzen („Bail-in“ der Bankengläubiger). Zudem zieht die Konjunktur in Irland wieder an und das Land hat es geschafft, wieder an die Kapitalmärkte zurückkehren.
Italien
Italien hat von allen drei Ländern das günstigste Verschuldungsprofil, weil das primäre Budgetdefizit beseitigt werden konnte. Was das Land trotzdem anfällig für gewisse Zahlungsprobleme macht, ist schlicht die Höhe der Verschuldung. Bleibt die Verschuldung auf dem derzeitigen Niveau, müsste Italien über einen sehr langen Zeitraum einen Primärüberschuss erwirtschaften – selbst dann, wenn die Zinsen leicht unter das heutige Niveau sinken. Eine Umschuldung in irgendeiner Form würde deshalb spürbar für Entlastung sorgen und könnte eine attraktive Option für die Regierung sein.
Spanien
Entwicklung der Staatsverschuldung in Spanien ist besorgniserregend
Am beunruhigendsten ist innerhalb der Eurozone die Entwicklung in Spanien. Selbst im optimistischen Szenario erreicht das Land nur eine Stabilisierung der Staatsschuldenquote, aber keinen Rückgang. Das Kernproblem ist weniger die Höhe der Verschuldung an sich – die geringer ist als in anderen Ländern – als das hohe Budgetdefizit. Gleichwohl würde auch die Staatsschuldenquote höher ausfallen, müsste die spanische Regierung die Rekapitalisierung der Banken selbst finanzieren. Dies ist der Grund für das von der EU finanzierte Programm zur Rekapitalisierung der Banken.
USA
Zwei eher unterschiedliche „Schwergewichte“ unter den analysierten Ländern
Die Verschuldungsprofile der zwei grössten Industrienationen der Welt sehen alles andere als beruhigend aus. In den Vereinigten Staaten sollte sich die Staatsschuldenquote im Basisszenario zwar bei rund 110 Prozent des BIP stabilisieren, bei einem konjunkturellen Abschwung oder einem Anstieg der Renditen würde die Verschuldung jedoch weiter steigen. Wie in Grossbritannien ist es denkbar, dass die Entwicklung letztlich auf eine kombinierte Währungs- und Schuldenkrise hinausläuft. Allerdings lässt der Status des US-Dollar als weltweite Reservewährung der US-Notenbank vermutlich wesentlich mehr Spielraum bei der „Monetarisierung“ der Verschuldung, ohne dass es zu einer solchen Krise kommt.
Japan
Die japanische Staatsschuldenquote folgt einem scheinbar unaufhaltsamen Aufwärtstrend, der wohl nur zu stoppen ist, wenn das Wachstum deutlich höher ausfällt, als derzeit prognostiziert, oder die Zinsen noch weiter zurückgehen – was nahezu unmöglich scheint. Irgendwann könnte es deshalb zu einer Umschuldung in irgendeiner Form kommen. Wahrscheinlicher aber ist, dass es verstärkt zum Versuch einer sogenannten „finanziellen Repression“ kommt (d. h. zu Massnahmen, die inländischen Anleger dazu bewegen, japanische Staatsanleihen zu kaufen). Dass die Schulden durch Inflation abgetragen werden, ist eher in den Vereinigten Staaten zu erwarten als in der hochgradig inflationsaversen japanischen Volkswirtschaft.
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